Vegan – Eine Herausforderung?!

Vegan ist hip, vegan ist cool. Mit veganem Etikett lässt sich neuerdings gut Geld verdienen. So wird aus Kunstleder plötzlich Vegan Leather und im Kühlregal findet sich veganer Käse, den ich hin und wieder kaufe, weil ich eben doch mal “so was wie die anderen” auf dem Teller brauche – fürs Gefühl. Weit weg vom verteufelten Analogkäse wird die vegane Variante nicht sein.

Veganismus ist in aller Mundedie einen Leben es, die anderen reden drüber. Warum also soll veganes Leben ein Problem darstellen?

In jeder Talkshow, die etwas auf sich hält, ist Veganismus mindestens einmal behandelt worden. Focus, spiegel online und die Zeit widmen sich diesem Trend. Meist mit dem spöttisch-kritischen Unterton a la “sind Veganer wirklich bessere Menschen?”

Seit Oktober 2013 esse ich vegan. Ich bin aber kein Veganer. Dennoch ist es für mich im Alltag manchmal schwierig. Mich durch meine Ernährung zu outen ist manchmal leichter, machmal schwieriger. Warum ich dennoch dabei bleibe?

Heutzutage ist es gar keine allzugroße Herausforderung mehr, vagen zu essen.

 

Für diejenigen, die ihre Essgewohnheiten (erst mal) nicht weit weg von den bisherigen Pfaden gestalten wollen, gibt es einige sehr gute Bücher. So zum Beispiel “Vegan – tut gut, schmeckt gut” von Jérôme Eckmeier: In diesem Buch findet ihr interessante Rezepte, die mit Produkten arbeiten, die es in (fast) jedem Bioladen, Reformhaus oder eben auch dm gibt. So lassen sich bekannte Gerichte wie Maultaschen, Bohneneintopf (zu dem für mich eigentlich immer eine Speckschwarte oder auch scharf angebratene Kabanossi gehörten) easy und vor allem lecker (weil dicht am Original) ohne großen Mehraufwand zubereiten. Die meisten Zutaten bekomme ich im gut sortierten Supermarkt, im Bioladen oder Reformhaus, einiges auch im Drogeriemarkt.

Bodenständig ist der Begriff, der mir zu Jérômes Gerichten zuerst einfällt.

Auch auswärts findet man mit etwas Vorbereitung immer eine Kleinigkeit, die einen satt macht. Nicht unbedingt kulinarische Höhenflüge an jeder Eck, aber ganz ehrlich? Das erwarte ich auch nicht von der Pizzeria nebenan. Besser essen gehen war schon immer eine Sache, die mit Aufwand und Planung einher ging.

Bereits im Frühjahr 2013 lieh ich mir Vegan for fit  aus – und brachte es bald wieder zurück, da es mir zu aufwändig und exotisch erschien. Zutaten, die mir vorher noch nie begegnet waren oder gegen welche ich eine langjährige Abneigung pflegte. Tofu, Avocado, Auberginen – mag ich nicht! und überhaupt ist das alles zu kompliziert.

Doch dann war ich bereit.

 

Ich wollte es probieren. Mir ging es schlecht und ich hatte das Gefühl, über so gar nix mehr die Kontrolle zu haben. 30 Tage lang nach einem Plan vegan ernähren – das muss doch machbar sein! Mich der Herausforderung stellen und neue Wege gehen. Daher startete ich mit “Vegan for Fit“.
Warum ich das wollte? Weil ich mich nicht mehr selbst verarschen wollte. Und wenn ich “so was kompliziertes schaffe”, dann kann ich auch andere Dinge angehen.

Die Rezepte in Hildmans Buch sind – anders als das meiste, was ich kannte. Ich gönnte mir die Zeit, die ich zur Zubereitung dieser Gerichte brauchte. Und ich gönnte mir die Zeit, die ich für die Gerichte der restlichen vier Familienmitglieder brauchte.
Denn ja! diese Umstellung kostete vor allem Zeit, die ich sonst mit anderen Dingen verbrachte:
Plötzlich musste ich mit einem (oder zwei) Einkaufszetteln los, da ich die Zutaten nicht mehr im Kopf hatte und eine Essen nicht mehr eben so im Supermarkt aus dem Ärmel schütteln konnte.
Ich brauchte Zeit, um die Geschäfte zu finden, die Agavendicksaft führen und am besten auch Matcha, Hafermilch und Kokosöl.
Es benötigte bei einigen Gerichten gehörigen Mut, nach langem draufstarren auch endlich zuzugreifen und die Kreation auch tatsächlich zu essen.
Und es brauchte Zeit, meine Erfahrungen in der zum Buch gehörigen Facebook-Gruppe zu posten.

Was ich auf keinen Fall wollte: Missionarischen Übereifer entwickeln, andere belehren und meine Erfahrungen aufzwingen.
Ich wollte schauen, ob ich es kann: Auf lieb gewonnene Gewohnheiten verzichten, mich den Angstgegenern im Gemüseregal stellen und meinen Horizont erweitern.

Aus meiner Sicht hat es geklappt.

 

Die 30 Tage Challenge nach “Vegan for Fit” hat mir den Einstieg leicht gemacht. Das Konzept ist so weit weg von meinem persönlichen Familienalltag, das ich mich wirklich sehr konzentrieren musste. Neben dem Weglassen aller tierischen Produkte gehörte auch der Verzicht auf Weißmehl, Zucker und Alkohol. Gerade diese drei Punkte machten dann aber das Essen außer Haus schwer.
In diese Zeit fielen auch die beiden Abschlußkonzerte der letzten Tour der Toten Hosen in Düsseldorf… und ich hab es überlebt (und nur ein kleines Stück der Brezel geknabbert, die das große Kind sich holte). Somit kann ich sagen: es ist eine reine Willenssache.

Warum dann “Vegan. Eine Herausforderung?!” als Beitragstitel?

 

Weil nun der Alltag einkehrt. Die Routine ist im neuen Leben eingezogen. Mittlerweile arbeite ich anders, die Kinder sind zum Teil auf neuen Schulen oder pflegen Hobbys zu Zeiten, die nicht ganz so gut zum bisherigen Plan passen. Das ist nicht schlimm. Aber dies macht es mir schwerer, mich zu organisieren.

Denn: die anderen vier Familienmitglieder essen weiterhin “omnivor”. Das ist die Herausforderung schlechthin. Die Kinder sind bereits zu alt, um ihnen einfach mal eben so neue Gerichte vorzusetzen, neue Verhaltensmuster vorzuleben und vorzuschreiben (wie man es bei Kleinkindern ja doch irgendwie tut). Die Mädels haben ihren eigenen Kopf, ihre eigene Geschichte in Bezug auf Essen.

 

Ganz langsam geht es (voran). Neue Ideen werden getestet.

 

Es gibt wieder deutlich mehr Salat als im letzten Sommer. Dabei essen ihn alle hier so gerne. Das kleinste Kind hat schon einen Antrag gestellt: “Kann ich denn nicht Salat – oder besser, nur die Salatsauce! als Schulbrot eingepackt bekommen?”

Leider haben meine drei Weiber alle eigene Vorlieben was Gemüse, Brot und Gerichte angeht. Die Schnittmenge ist – nun ja – überschaubar.

Wir üben noch immer. Gerade eben habe ich einen “Meal Planner” heruntergeladen, der mir und uns helfen soll, einen Überblick zu bekommen über die Wünsche des Einzelnen. Wir suchen eine Möglichkeit, einen Weg zu finden, der alle zufrieden stellt.

Deswegen ist eine der größte Herausforderung immer noch: sich Zeit nehmen.

 

Zeit nehmen für die Interessen und Vorlieben jedes Einzelnen.
Zeit für die Planung der gemeinsamen und individuellen Termine.
Zeit nehmen, den anderen zuzuhören und seine Bedürfnisse war zu nehmen.

Nicht, das das alles schon klappt. Oft genug steh ich abends im Bad und denke. “Mist, schon wieder ist der Tag vorbei. Schon wieder hast du vergessen, den Essensplangedanken mit den Kids zu besprechen. Schon wieder gab es nur Bohneneintopf (den alle lieben, ich vor allem, weil er so schnell gerichtet ist)!”

Heute kann ich (fast) an jeder Ecken wertvolle Zutaten kaufen. Lebensmittel sind in Mengen vorhanden, auch gute Qualität ist käuflich. Vor fünf Jahren war es schwerer, auf vegane Ernährung umzusteigen. Vor zehn Jahren noch mehr. Und vor 20 Jahren waren Veganer die (auch von mir) belächelten Exoten, die nur Müsli futterten.

Die Welt verändert sich. Meine Umwelt verändert sich. Ich verändere mich. Das ist ein Prozeß, der nicht aufzuhalten ist.

Dennoch möchte ich festhalten: Nicht das vegane Essen ist die Herausforderung.

Viel mehr besteht die Herausforderung darin, sich seinem Leben zu stellen.

 

Herauszufinden, wo ich stehe und wo ich hin will.
Einen Weg gehen, der vielleicht weit ab vom Mainstream ist,
Dinge leben, die auf den ersten Blick seltsam erscheinen.
Werte für sich selbst definieren und auch leben.

Über 37 Jahre habe ich gelebt ohne wirklich zu wissen, wohin die Reise geht. Ehrlich gesagt weiß ich das heute auch noch nicht. Aber ich weiß heute, das ich bestimmte Dinge selbst in die Hand nehmen muss. Egal, ob andere das gut oder blöd finden. Erkennen, was mir wichtig ist und dafür zu kämpfen.
Und nicht vor lauter “Oh Gott, die Welt ist schlecht, ich bin allein und kann nix tun. Die Aufgabe ist zu groß. Ich kann da nicht 100%ig richtig machen. ” gar nicht erst anzufangen.

Vegan zu essen war der Anfang einer Reise zu mir selbst.

 

Vor der ich jahrelang die größte Angst hatte. Was, wenn ich mich selbst gar nicht leiden kann? Wenn das, war mir gut tut und mir gefällt, fremden Erwartungen widerspricht? Dann mag mich ja gar keiner mehr!

Diese Umstellung hat viel mehr bewegt als alle “Beratungsgespräche”, die ich je geführt habe. Es ist mein Leben. Ich trage (zur Zeit) noch die Verantwortung nicht nur für mich selbst, sondern auch für drei (zum Teil nicht mehr ganz so) kleine Hühner.
Meine Hoffnung besteht darin, ihnen ein Gefühl für sich und die eigenen Bedürfnisse vermitteln zu können. Deswegen koche ich zwei Gerichte, wenn es sein muss. Einmal mit und einmal ohne Tier.

Deswegen ist es mir wichtig, mich nicht als Veganer zu bezeichnen. Denn der bin ich ich nicht: ich habe nicht die Kraft dazu, mich um mehr Dinge als jetzt zu kümmern.
Ja, Lederproduktion ist genau so gruselig wie die Massentierhaltung für die Lebensmittelproduktion.
Ja, Tierversuche sind eine Quälerei – ob nun für Medikamente oder Kosmetik.
Ja, ich habe ein Problem damit, diese Dinge nicht auch noch “abarbeiten” zu können.
Ja, ich bin nicht perfekt.

Dennoch:

Vegan zu essen tut mir gut. Mit all den Folgeerscheinungen.

 

Ich bin mutig und stelle mich den Fragen, die ich nicht zu 100% beantworten kann, für die es vielleicht auch keine Lösung gibt. Ich traue mich, diese auszuhalten.

 

Ich bin wie ich bin.

Damit muß ich leben. Und ihr auch. Wenn ihr wollt.

 

P.S.: Und vielleicht hab ich ja auch irgendwann mal die Muße, mich mit den ganzen Leuten auseinanderzusetzen die meinen, mir erzählen zu müssen “… vegan ist ungesund/noch viel schädlicher für die Umwelt als alles andere, weil ja auch für Soja Regenwald abgeholzt werden würde…” und überhaupt: “Werd doch mal erwachsen! Punk ist sowas von gestern!”

Vielleicht aber auch nicht.

2 thoughts on “Vegan – Eine Herausforderung?!

  1. Liebe Minerva,

    ich bin auch kein Veganer! Ich mag den Ausdruck gar nicht. Ich bin doch kein Exot oder so was.
    Ich möchte nur aus ethischen Gründen nichts vom Tier essen, weil ich das einfach nicht richtig finde. Ich kaufe mir auch keine Lederschuhe oder Wolle. Aber die Lederschuhe, die ich habe, trage ich natürlich. Ich liebe auch meine Walkjacke, die bestimmt schon 10 Jahre alt ist (die hab ich mal auf einem Markt gegen was genähtes getauscht). Ich esse sogar aus Höflichkeit die Muffins, die eine Kollegin mit Liebe gebacken und mit zur Arbeit gebracht hat, bringe dann aber auch mal veganen Kuchen mit (und überrasche die Kollegen)

    Zuhause ist es bei mir einfach, da bin ich froh.

    Meistens kocht mein Mann, vegetarisch. Er kocht gerne deftig, Chili con Carne oder Bolognesesauce. Das wird dann mit Seitan oder Sojaschnetzeln zubereitet. Oder er macht sich was dazu, z.B. Zaziki oder Schafskäse bei Ofengemüse oder so. Das lasse ich dann weg. Mein Mann isst gerne Fleisch, aber nicht zuhause. Er hat sich uns Weibern angepasst:-)
    Wenn ich koche, gibts vegan. Aus!
    Unser Kind, das noch zuhause ist, isst aus Überzeugung vegetarisch. Vegan ist ihr am liebsten, sie hat sich z.B. als Geburtstagskuchen eine vegane Torte gewünscht.
    Sie mag aber auch nicht auffallen oder sich rechtfertigen müssen (das hat sie wohl von mir) In der Schule z. B. ist es leider nicht möglich vegan zu essen.
    Aber auch in anderen Lebensbereichen ist sie da sehr interessiert, und auch konsequent (Zoo, Zirkus, Kleidung usw) Das finde ich richtig toll!

    Essen gehen ist bei uns auch gut möglich. Wir haben im Nachbarstadtteil ein vegetarisch/veganes Restaurant, außerdem schmeckt Pizza tatsächlich auch ohne Käse, muss halt ordentlich was an Belag drauf 🙂

    Eine so große Herausforderung wie für dich ist meine vegane Lebensweise also nicht, toll, wie du das hinkriegst! Aber ganz ehrlich? Ich würde kein Fleisch zubereiten. Das müssten sich die Leute dann schon selber machen.

    Das war ein toll geschriebener Artikel von dir!
    Achso, ja, meine Schwäche ist übrigens Alkohol, da kann ich nicht ohne…

    LG
    Heike

  2. Hallo an alle,
    Nichts ist einfach das muss jeder wießen. Sich Vegan zu ernähren auch nicht, mann muss einfach auf viele Sachen vergessen die man mag. Für sich selbst zu kochen ist auch keine Leichtigkeit man achtet auf alles. Ob es jetzt gerade so gesund ist das kann ich nicht genau sagen, denn wir versuchen viele Sachen die unser Körper braucht zu ersetzen, und ob es gerade gesund ist das zeigt und die Zeit. Aber das es ein gutes Gefühl ist, ist es, denn man weiß das man etwas für sich selbs macht.

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